50+ Leben

„Kumm loss mer fiere“ oder „Nit für Kooche“

2. März 2017
Eine Frau in einer Folklorebluse mit Haarband und Armreifen ist als Hippie für den Karneval verkleidet

Meine Kindheit habe ich in einer Kleinstadt verbracht. Es gab in unserem Viertel eine Gaststätte, in der fand am Rosenmontag der Kinderkarneval statt. Die Verkleidungen fielen in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren nicht besonders originell aus: Es gab Indianer und Indianerinnen (viele), Cowboys (sehr viele), Clowns (möglicherweise gleichauf mit den Cowboys), Polizisten, Prinzesinnen oder Pipi Langstrumpfs (mein Lieblingsoutfit) und Krankenschwestern. An diesen Nachmittagen wurden Spiele veranstaltet, das Tanzbein geschwungen, und den krönenden Abschluss bildete die Kinderbelustigung, von der ich nicht mehr genau sagen kann, um was es dabei eigentlich ging. Auf jeden Fall haben wir Kinder den Karneval geliebt.

Dann kam die Pubertät, ich ging auf’s Gymnasium und hatte entschieden, Karneval als eine der unreflektiertesten Veranstaltungen des kulturellen Lebens rundherum abzulehnen. Gut, die Weiberfastnachts-Fete der Schule, bei der die Lehrer als Popstars verkleidet Karaoke sangen, nahm man gerne mit. Allerdings nie ohne einen spöttischen Seitenblick. Die Zeiten, in denen ich mich freiwillig zum Clown machte, seien endgültig vorbei. So glaubte ich wenigstens.

Ich wurde älter und begann mit dem Studium – in Bonn am Rhein! Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob mich in meinem ersten Studienjahr niemand gewarnt oder ob ich naiverweise geglaubt hatte, Bonn sei, was die Karnevalsfreude angehe, weniger „auffällig“ als Köln. So verbrachte ich mein erstes langes Karnevalswochenende in der ehemaligen Bundeshauptstadt mit lauter guten Vorsätzen für intensives Lernen und einem mehr oder weniger leeren Kühlschrank. Der Satz, den ich zu hören bekam, wenn ich vor einem geschlossenen Geschäft wieder einnmal irritiert um mich blickte, war immer der gleiche: „Mädche, et is Karneval“. Beim nächsten Mal hau‘ ich ab, beschloss ich umgehend und habe tatsächlich anschließend nie wieder einen Karneval im Rheinland erlebt.

Warum ich mit über 50 plötzlich doch wieder Lust auf diese „trostlose“ Veranstaltung bekommen habe? Keine Ahnung. Es war eher ein Impuls, der mich gemeinsam mit einer Bekannten am vergangenen Donnerstag zur  Weiberfastnacht ins Strobels führte. Was soll ich sagen? Ker, hat dat Spaß gemacht. Nie hätte ich vermutet, dass Westfalen ausgelassen Karneval feiern können. Sie können es. Ich bestreite nicht, dass Alkohol stimmungsunterstützend wirkt. Und ja, ich habe bei Helene Fischers „Atemlos“ und Andrea Bergs „Du hast mich 1000mal belogen“ laut mitgesungen und viel zu viel Bier getrunken. Es war die Sache wert, den ich habe mich unbeschwert und gut gefühlt.

Wen man sich darauf einlässt, dann macht Karneval richtig gute Laune – nicht nur in Kölle. Ich jedenfalls habe nach mehr als 30 Jahren endlich meine Karnevalsaversion abgelegt. Feiern, loslassen, ungezwungen sein, Spaß haben – das ist in meinen Augen schon ein Wert an sich. Klar, es gibt auch die unliebsamen Karnevalsbegleiterscheinungen (ein WDR-Radiomoderator drückt das an diesem Tag etwa so aus: „Ich möchte nicht, dass mir jemand seine Kümmerling-imprägnierte Zunge in den Hals steckt“), aber wer nicht möchte, macht dabei einfach nicht mit. Auch das ist eben Karneval: ein Fest der Toleranz und der Großzügigkeit. Da simmer dabei.

Im nächsten Jahr könnt ihr mit mir an Weiberfastnacht jedenfalls nicht rechnen, da habe ich schon etwas vor :-).

 

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