50+ Leben

Ich laufe

5. Juli 2016
Blick von oben auf Füße in Joggingschuhen, Untergrund ist ein Bürgersteig mit Gehwegplatten

Samstagmorgen. Der Westpark in Dortmund ist noch leer. Ich laufe, Depeche Modes „The Singles (1986–1998)“ gibt den Takt vor. „Strange love, strange highs and strange lows, strange love, that’s how my love goes, strange love, will you give it to me?“ dringt es über die Kopfhörer an meine Ohren.

Ich laufe – mehr oder weniger regelmäßig – seit über 20 Jahren. Der gleichmäßige Rhythmus des Laufens, der stetige Atem – für mich ist das Meditation mit Fortbewegung. Nun ist es nicht so, dass ich beim Laufen nicht denke, oh nein, ich denke sehr viel. Vieles davon ist für mich selbst überraschend und neu. Manches davon würde ich gerne festhalten, aber kaum bin ich zu Hause angekommen und habe die Joggingschuhe ausgezogen, kann ich mich nicht mehr an die fulminanten Geistesblitze erinnern. Gut so, denn Laufen befreit.

In den vergangenen fünf Wochen habe ich mein Lauftraining wieder aufgenommen bzw. intensiviert. Es ist erstaunlich, wie leicht es sich läuft, wenn der Adrenalinspiegel aufgrund von Dauerstress einen bestimmten Pegel erreicht hat. Dann muss ich laufen, um die überschüssige Energie abzubauen. Der Körper gibt es quasi vor.

Schon in anderen stressbelasteten Phasen habe ich Laufen als Ventil erlebt. Nun laufe ich wieder, und zwar in der Stadt. Das hätte ich früher für nicht möglich gehalten. Aber heute finde ich es irgendwie „cool“. Wann immer mir danach ist, ziehe ich die Sportklamotten über und renne los. Ich kann sicher sein, dass entlang meiner Laufstrecke immer genügend Menschen sein werden, die mir helfen können, wenn ich mit dem Fuß umknicke oder, was auch schon passiert ist, mir die Kniescheibe ausrenke.

Laufen ist ein Stück fettes, pralles Leben, auf das ich nicht verzichten möchte. Auch meinen letzten Kummer habe ich mir von der Seele gelaufen. Kilometer für Kilometer hat es ein bisschen weniger in der Seele gezwickt, bis ich schließlich eines Morgens nach meiner gewohnten Runde wieder an meiner Haustür ankam und dachte: Fehlt da nicht was? Ach, der Kummer, den musst Du unterwegs verloren haben …

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