50+ Leben

Darf man hier auch mal jammern?

9. Mai 2017
Grafik Text Och nee!

Mein Leben kennt keine Grautöne – nur Schwarz oder Weiß. Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt, ganz oben oder ganz unten, so kommt es mir jedenfalls vor. Habe ich im vergangenen Jahr einen unglaublichen Lauf in meinem fetten, prallen Leben gehabt, scheinen die Molltöne in diesem Jahr die Oberhand zu gewinnen. „Du kannst mich mal, da mache ich nicht mehr mit!“ möchte ich am liebsten ausrufen und trotzig mit dem Fuß auf den Boden stampfen, aber vor seinem eigenen Leben kann man nun mal nicht davonlaufen.

Ich jammere nicht gerne, lieber suche ich nach Lösungen. Dieser erneute Wendung meines Lebens macht es mir allerdings gerade sehr schwer. Zu oft habe ich in den vergangenen zehn Jahren von vorne angefangen: Neue Beziehungen, neue Jobs, neue Wohnungen – immer, wenn ich dachte, angekommen zu sein, fiel erneut irgendetwas auseinander. Seit drei Jahren arbeite ich wieder hauptberuflich selbstständig, nachdem ich einen – nicht mehr geliebten, und daher auch wenig hinterher getrauerten – festen Job verloren hatte. Der Übergang war nahtlos, Job reihte sich an Job, Anfrage an Anfrage, Auftrag an Auftrag. Damit ist jetzt erstmal Schluss. Mal wurden Verträge nicht verlängert, mal sinnt man in Unternehmen nach neuen Lösungen und möchte nicht mehr so viel Geld in Werbung investieren, mal kann man sich einfach nicht entscheiden.

Obwohl ich für so einen Fall eine Worstcase-Szenario-Todo-Liste in meinem Schreibtsich aufbewahre, hat mich diese Situation des Nichts-mehr-zu-tun-Habens regelrecht umgeworfen. Die ersten Wochen habe ich noch genossen, ich gebe es zu. Endlich nicht mehr so viel arbeiten, einfach mal das tun, worauf man gerade Lust hat – ein echter Luxus. Mir wäre im Traum nicht eingefallen, dass dieser Zustand sich verfestigen kann. Aber genauso, wie Glück bekanntlich Glück anzieht, macht es sich anscheinend auch das Unglück beim Unglück bequem. Nach und nach wurde es ruhiger in meinem Büro. Ich begann mit der Akquise, hatte viele gute Gespräche, aber leider noch nicht den gewünschten Geschäftserfolg. Kommt schon noch, das denke ich jeden Tag, aber alleine im Büro zu sitzen und Optimismus zu versprühen ist ein einsames Vergnügen.

Gleichzeitig feixen ein paar hinterlistige Stimmen unablässig in meinem Kopf: Siehste, das hat sie jetzt davon, warum musste sie auch partout freiberuflich arbeiten. Nichts gelingt ihr, ihre kurze Beziehung ist auch schon wieder zu Ende. Was ist eigentlich mit dem Laufen? Das hat sie – angeblich wegen der Achillessehne – heruntergefahren. Haha. Und wann hat sie das letzte Mal Leute zum Essen eingeladen?

Ja, es sind First-World-Probleme. Mir geht es immer noch gut, ich habe ein Dach über dem Kopf, ein eigenes Büro und einen Garten. Meine Eltern erfreuen sich passabler Gesundheit, ich selbst ebenfalls, ich lebe nicht in einem Krisengebiet und Frankreich hat nicht Marine Le Pen zu seinem neuen Staatsoberhaupt gewählt. Ich habe Anfang April eine wunderschöne Woche in Italien verbracht, ich weiß gute Freunde und ein gutes Netzwerk um mich herum, mache zur Zeit einen Nähkurs und habe noch genug Wolle zum Verstricken. Bis Februar habe ich in einem wundervollen Chor gesungen, nun singe ich in einem anderen wundervollen Chor, im Juli werden wir zwei öffentliche Auftritte haben. Und: Ich habe ein Blog, dem ich das alles anvertrauen kann.

So, nun genug gejammert! Ja, ja, ich bin ja schon durch, wollte es nur mal eben loswerden. Nicht zum ersten Mal erlebe ich so eine Situation, selten war ich so gut darauf vorbereitet. Es sollte mir also doch gelingen, das Ruder herumzureißen und die Kompassnadel wieder in Richtung fettes, pralles Leben zu drehen, oder? Aufgeben kommt jedenfalls nicht in Frage, zu lange habe ich an meiner Selbstständigkeit gearbeitet, zu viele Opfer dafür gebracht. „Failure is not an option“ – diesen Spruch habe ich mir auf meinem Akquiseordner geklebt, der nun darauf wartet, mit Leben und – hoffentlich – Erfolgen gefüllt zu werden.

„Et hätt noch immer joot jejange“, „Et kütt wie et kütt“ und „Nit alles, wat en Loch hätt, is kaputt“ sind ein paar Weisheiten des Rheinischen Grundgesetzes. Ich fühle mich zwar mehr dem Ruhrgebiet und damit dem westfälischen Teil unseres Bundeslandes verbunden, aber trotzdem bringen mich diese Redensarten zum Schmunzeln. Sie sollen mich in den nächsten Wochen begleiten und daran erinnern, sich selbst nicht immer so bierernst zu nehmen.

Arsch huh, Zäng ussenander. Jeht doch.

 

 

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3 Comments

  • Reply Dana 9. Mai 2017 at 12:28

    Ach, Mist, das tut mir leid. Aber manchmal hat man eben solche Phasen. Und du klingst wirklich nicht so, als würdest du dich davon unterkriegen lassen. Ich drück dir die Daumen, dass es bald wieder in eine andere Richtung für dich geht!

    Liebe Grüße,
    Dana

    • Reply ahedfeld 9. Mai 2017 at 12:41

      Liebe Dana, vielen Dank für Deine mitfühlenden Worte. Als Freiberufler weiß man ja, das solche Situationen eintreten können. Meistens verändern die sich dann schneller als einem lieb ist. Nein, unterkriegen lasse ich mich bestimmt nicht davon. Wollte es nur mal loswerden, jetzt geht es mir schon wieder besser. Ich hoffe, bei Dir ist auch alles in Ordnung. LG Anke

  • Reply Ein Blick zurück – 2017#19 – Different Affairs 15. Mai 2017 at 22:11

    […] Familienkonzert im Konzerthaus Dortmund Gehört: Barfuß am Klavier – Annen May Kantereit Getan: gejammert Gelesen: Simone de Beauvoir – Alice Schwarzer Gegessen: Schwäbisch-Hällische Maultaschen […]

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