50+ Leben

Überraschungen

22. Januar 2016
Hätt' ich auch nicht gedacht – wie ich auf die Ü50-Blog-Idee gekommen bin

2016 – Anfang des Jahres. Eine Altbauwohnung irgendwo im Ruhrgebiet, hohe Decken, Parkettboden, ein Esszimmer mit einem großen Eichentisch darin. Hier sitze ich und arbeite an der Zielplanung für das kommende Jahr. Versonnen streiche ich mit der Hand über die vertraute Oberfläche des Tisches, ärgere mich über den Wasserfleck, der nach zehn Jahren aufmerksamer Pflege in einem Moment der Unachtsamkeit dazu gekommen ist, und schweife mit meinen Gedanken ab. Etwa zehn Jahre zuvor. Der gleiche Tisch, eine andere Stadt, eine andere Wohnung. Ich höre die Worte meines Gegenübers, habe fast damit gerechnet, und doch trifft mich das Gesagte bis ins Mark: Von emotionaler Irritierung ist da die Rede. Wie diplomatisch! Kann passieren nach 19 Jahren. Hört sich noch gar nicht nach Endgültigkeit an. Doch wenn man genau hinhört, zeigt sich hinter den wohl abgewogenen Worte übergroß der kleine Schönheitsfleck: Wo steckt denn da bitte schön ein Lösungsangebot oder ein Hoffnungsschimmer? Innerhalb weniger Minuten entwickelt sich das liebgewonnene tägliche Ritual des gemeinsamen Abendessens für mich zum Super-Gau. Nicht nur, dass ich offensichtlich gerade dabei bin, meinen Partner zu verlieren. Auch meine berufliche Zukunft sehe ich sofort in Frage gestellt, denn seit acht Jahren arbeiten wir zusammen in einer gemeinsamen Agentur. Wie soll das weitergehen?

Es ging nicht weiter. Einige Monate später sitze ich alleine in unserem 120 Quadratmeter großen Agenturloft. Nach dem ersten großen Schock und einer damit einhergehenden Starre versuche ich zu retten, was zu retten ist. Es ist eine schwierige Zeit, vermutlich die bisher schwierigste in meinem Leben. Gemeinsame Freunde werden plötzlich „ulkig“, den wenigsten gelingt eine Neutralität meinem Ex-Partner und mir gegenüber. Anfangs schleppe ich mich von Tag zu Tag, mein Hund ist schließlich derjenige, der mir täglich eine hilfreiche Struktur vorgibt. Menschen, die mir bisher nicht sonderlich nahestanden, bieten  Hilfe und Mitgefühl an. Nach und nach gewinne ich wieder Boden unter den Füßen. Ich bin vierzig Jahre alt und mache mich auf eine Reise, die spannender nicht hätte sein können und die ich freiwillig niemals angetreten hätte.

Zwanzig Jahre lang hatte ich an der Realisierung eines Lebens gearbeitet, das ich heute nur mit den Attributen „bürgerlich“, „etabliert“ und „langweilig“ belegen kann. In diesen Wunsch hatte ich alle meine Energien investiert. Wieso wurde ich nicht endlich dafür belohnt? Wieso fand ich mich plötzlich mit dem Abenteuer eines völlig anderen Lebens konfrontiert? Bei der Zusammenstellung der alten Aufnahmen für das texterella-Interview fiel mir auch das obige, unscharfe Bild in die Hände. Es zeigt mich bei einem Urlaub, den ich gemeinsam mit einer Freundin nach dem Abitur in Spanien verbrachte. Was war ich da noch unbelastet! Was hatte ich da noch für Vorstellungen im Kopf! Hätt’ ich auch nicht gedacht, dass sich dreißig Jahre später alles so ganz anders entwickelt haben würde. Und nun komme ich endlich zu der Quintessenz dieses Posts: Sind es nicht gerade die Brüche in unserem Leben, die unser Dasein bereichern, weil wir an Ihnen wachsen oder weil wir schlicht und ergreifend Dinge lernen, die wir uns nicht zugetraut haben?

Ich habe beispielsweise erst nach besagter Trennung von meinen Ex-Partner erfahren, dass ich offensichtlich ganz gut schreiben kann und auch erst in meiner Singlephase mit dem Bloggen begonnen. Ich habe mich nach über einem Jahrzehnt eines in eher ruhigen Bahnen verlaufenden Lebens in dem von mir nicht besonders gemochten Wuppertal dazu entschlossen, ins Ruhrgebiet zu ziehen. Bis auf eine Handvoll Leute kannte ich dort niemanden und doch hatte ich sofort das Gefühl, nach Hause zu kommen. „Hömma, da sachse wat. Home is where the U is, woll?“ Ich habe einfach alleine weiter selbstständig gearbeitet, das Ruhrgebiet und seine Menschen mit ihren schrulligen und liebenswerten Kanten kennen und lieben gelernt. Habe zwischendurch noch zwei Mal den Versuch unternommen, wieder angestellt zu arbeiten und habe beide Jobs verloren. Vor zwei Jahren dann der Entschluss, wieder freiberuflich zu arbeiten. Ich bin neue Partnerschaften eingegangen, und auch die sind in die Brüche gegangen. Ich habe Dinge ausprobiert, zu denen mir vierzig Jahre lang der Mut fehlte. Auf einige davon bin ich im Übrigen nicht besonders stolz. Ich habe Momente voller Verzweiflung und Situationen voller Glück erlebt. Vor etwa zwei Wochen bin ich erneut alleine in eine Wohnung gezogen. Eine Situation, die ich mir so ganz sicherlich nicht erträumt habe. Nun will ich nicht der Veränderung um der Veränderung Willen das Wort reden. Und wenn ich ehrlich bin, ist mir meine letzte Entscheidung bezüglich des Umzugs auch nicht leicht gefallen. Ich bin fünfzig Jahre alt und meine neue Wohnung gestaltet sich nach dem dritten Umzug in zehn Jahren recht studentisch. Eben ganz genauso, wie ich es mit zwanzig nicht gedacht hätte. Aber, und das ist der entscheidende Punkt: Nie habe ich mit mir selbst verbundener gefühlt. Nie hatte ich ein stimmigeres Gefühl, was mein Leben betrifft. Um dahin zu kommen, musste ich die allzu lange festgehaltenen Glaubenssätze über Bord werfen. Hätt’ ich auch nicht gedacht, dass mir diese Reise einmal so viel Vergnügen bereiten würde.

Wie sieht es in Eurem 50+-Leben aus? Ist Euer Leben so verlaufen, wie ihr es Euch mit zwanzig vorgestellt habt oder gab es unvorhergesehene Einschnitte? Wie bewertet ihr die und wie geht ihr damit um? Ich bin neugierig!

You Might Also Like

6 Comments

  • Reply Simone 22. Januar 2016 at 12:17

    Liebe Anke,

    es läuft im Leben nie so, wie man sich das vorgestellt hat. Und genau das macht es manchmal zwar schwer, aber es bleibt auch immer spannend. Und sei froh über dein „leichtes Gepäck“. Es gibt so viel belastenden Ballast. Ich schicke dir virtuelles Salz und Brot für deine Wohnung!

    Liebe Grüße
    Simone

    • Reply ahedfeld 27. Januar 2016 at 16:48

      Liebe Simone,
      ja, es ist eine spannende Reise, da gebe ich Dir recht. Vielen Dank für virtuelles Salz und Brot. Beides ist gut angekommen.

      LG
      Anke

  • Reply Sabine 24. Januar 2016 at 11:20

    Liebe Anke,
    Deine Geschichte hat mich bewegt und zum Nachdenken gebracht. Ich stimme Dir uneingeschränkt zu, dass es die Brüche sind, die einen bleibend prägen. Du wurdest von den Ereignissen überrascht und mußtest ungewollt damit fertig werden. Ich habe den Bruch selbst herbeigeführt und mußte mit dem was er ausgelöst hat zurecht kommen. Es gab, wie bei Dir aufs und Abs, ich möchte keines davon missen. Alles hat mich zu der gemacht, die ich heute bin.
    Ist der Lebensplan, den man sich mit 20 – 30 macht nicht einer, der wesentlich von anderen Personen bestimmt ist? Bei mir zumindest war es so. Der Wunsch heile, komplette Familie, Kinder, Eigenheim, Halbtagsjob und finanzielle Sicherheit war nicht aus mir geboren, sondern meiner Erziehung und Umwelt geschuldet. Mit Mitte Dreißig wurde mir bewußt, dass das Leben, das dieser Wunsch nach sich zieht, nicht meins ist.
    „Nie habe ich mich mit mir selbst verbundener gefühlt…“ schreibst Du. Dieses Gefühl hatte ich auch und habe ich noch.
    Ich wünsche Dir alles, alles Gute auf Deiner spannenden Reise.
    Lieben Gruß
    Sabine

    • Reply ahedfeld 27. Januar 2016 at 16:51

      Liebe Sabine,
      Deine Biographie macht Mut, auch wenn Du die Brüche in Deinem Leben selbst herbeigeführt hast. Sehr, sehr schön, dass ich Dich und (ein wenig Deiner Geshichte) über das Netz kennenlernen durfte und dass Du mich daran teilhaben lässt. Ich wünsche Dir auf Deinem Weg ebenfalls alles Gute und schaue natürlich regelmäßig in Deinem blog vorbei.

      Liebe Grüße
      Anke

  • Reply ClaudiaBerlin 4. Februar 2016 at 12:08

    Wow, eine gute Geschichte, die das Leben schrieb – aber auch du selbst hast mitgeschrieben, denn du hättest ja auch versuchen können, „dasselbe nochmal“ bzw. „weiter so“ zu probieren, nur mit anderem Partner.
    So eine ähnliche Zusammenarbeit hatte ich während meiner Aktivistinnen-Zeit zwischen 27 und 37 auch. Da waren wir „als Paar“ zwar nicht WIRKLICH existenziell voneinander abhängig, aber es fühlte sich dennoch so an, denn alle Bezüge und „Kämpfe“ waren wir gewohnt, in einer bestimmten Rollenverteilung gemeinsam zu bestehen – und damit war dann plötzlich schluss. Ich musste mich aus allem raus ziehen und auch ein gemeinsam geführtes Lokal bzw. jegliche getätigte Investition in den Wind schreiben, um mich zu lösen. Aber hey, es hat sich gelohnt, ich fühlte mich sowas von befreit! (Das Ende der Beziehung fand nicht wg. einer Anderen statt – die hat nicht gestört – sondern wegen Unverträglichkeiten, auseinander leben, immer weniger Gemeinsamkeiten…).
    Die Zeit zwischen 37 und 40 würde ich im nachhinein als Midlife-Crisis beschreiben, Umwertung (fast)aller Werte und so. Bin aus allem ausgestiegen, hatte eine Auszeit und Orientierungphase, machte dann eine Umschulung/Weiterbildung, entdeckte in den 90gern das Internet und bin seit 97 selbstständig. Seit 2003 wohne ich alleine und bin sehr sehr glücklich so! Mein deutlich jüngerer Partner wohnt in der Nähe, wir haben einen gemeinsamen Garten, aber würden nie zusammen wohnen wollen. Die Zeit ab 50, überhaupt so rund um die Wechseljahre und danach waren abenteuerlich und richtig toll!
    Du siehst übrigens auf deinem aktuellen Bild soviel besser aus als früher!!! 🙂

    • Reply ahedfeld 4. Februar 2016 at 22:21

      Liebe Claudia, uff, huch, das ist ja eine ganz ähnliche Geschichte wie meine. Vielleicht ist es ein Segen, dass wir Frauen um die 50 in den 60er und 70er Jahren groß geworden sind und nicht nur die Rollenvorbilder unserer Mütter und Großmütter vorgelebt bekamen, sondern dass uns auch die Ideen der 68er-Generation durch unsere Jugend und Pubertät getragen haben. Auch wenn wir es Anfang 20 oder 30 nicht bewußt wahrgenommen haben: Die Ideen von anderen Rollen- und Lebensmustern haben schließlich dazu geführt, dass nach einem halben Leben der Aufbruch ins vielleicht nicht unbedingt Ungewisse, aber doch ins Neue gelang. „Eine Umwertung aller Werte“ schreibst Du. So ähnlich habe ich es auch erlebt. Wahrscheinlich mussten wir erst 40 werden, um uns diesen schwierigen Schritt zu gestatten. Toll, dass Dein Leben nach dieser Entscheidung so befriedigend und glücklich verlaufen ist. Altern hat eben auch Vorteile! Ich wünsche Dir von Herzen, dass die kommenden Jahre für Dich so spannend bleiben. LG Anke

    Leave a Reply