Leben

Corontäne

10. Mai 2020
Eine weibliche Bronzestatue in einem Park trägt einen Mundschutz – Corona 2020

Seit acht Wochen arbeite ich im Home-office. Den Entschluss, meine sozialen Kontakte einzuschränken, habe ich jedoch weit davor getroffen. Bereits seit Anfang März befinde ich mich in einer Art Selbstquarantäne, verlasse das Haus nur für die Arbeit, zum Einkaufen und zum Laufen. Zwei Mal habe ich mich mit einer Freundin getroffen., einmal meine Familie beuscht. Anfang März habe ich meinen Freund das letzte Mal gesehen. Morgen sind das exakt 63 Tage seit dem letzten Abschied.

63 Tage emotionaler Achterbahn-Fahrt. Aber auch eine Zeit, und das hört sich nun vielleicht geradezu makaber an, die ich dringend gebraucht habe. „Cocooning“ nennen die Iren – ich vermute die Briten ebenso – die Zeit der Quarantäne und des Lockdowns. Hört sich doch viel besser an als „social distancing“. Ja, und tatsächlich, ich habe die Zeit zu Hause genossen.Ich war so erschöpft, ich musste dringend etwas herunterfahren. „Coincidence“ könnte man sagen. Morgen ist  damit Schluss. Dann arbeiten wir in Schichten wieder in unserem Büro.

A stop without a go again

Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass mich die Corona-Krise verändert hat. Dass ich eine gesunde Work-Life-Balance sehr schätze, weiß ich, seit ich freiberuflich und immer „heimatnah“ gearbeitet habe. So gesehen habe ich tatsächlich etwas zurückerhalten, was ich schmerzlich vermisst habe: Zeit. Vor allem Zeit zur Reflektion. Was mache ich gerne? Und was mache ich nur, weil ich es muss oder weil ich denke, dass es meine Umwelt von mir erwartet? Da ist plötzlich vieles, was ich in Frage stelle. Vor allem meine hektische Lebensart. Es gibt immer soo viel zu tun, dass einen allein die schiere Quantität davon abhält, dieses Viele auch nur einmal zu hinterfragen. Während des Cocoonings, nachdem die anfängliche Unsicherheit endlich nachgelassen hat, stellen sich  die Ideen zu diesem Thema plötzlich von ganz alleine ein.

Zu Beginn der Pandemie war ich geradezu  panisch, Täglich wurden die Zahlen der Corona-Infizierten nicht nur der John-Hopkins-Universität und des Robert-Koch-Instituts, sondern auch die der Stadt Dortmund überprüft, als könne ich damit auch nur irgendetwas kontrollieren. Langsam lässt diese Panik nach und es setzt sich die Erkenntnis durch: Ich kann gar nichts beeinflussen, auch wenn ich mir schreckliche Sorgen um meinen Freund in Irland mache, der leider zu einer Risikogruppe gehört.

Ubiquitär unsichtbar

Er ist nicht der einzige, um den meine Gedanken kreisen. Meine Freundin in Italien gehört dazu, die mit ihrer Familie in der Nähe von Bergamo lebt, meine Eltern, die sich beide auf die 80 zubewegen, meine Nichte und ihre kleine Tocher in München, die das Haus nicht mehr verlassen dürfen. Die Sorge wird irgendwann abgelöst von blankem Zorn. Tut mir leid, die Geschichte des Wildtieres, das im chinesischen Wuhan angeblich das Virus auf den Menschen übertragen hat, glaube ich einfach nicht. Keinesfalls möchte ich mich damit in den Kreis der Verschwörungstheoretiker einreihen. Ich unterstelle niemanden eine wie auch immer geartete Absicht, ein gewolltes „Inverkehrbringen“ des Virus. Für mich hört sich diese Geschichte einfach nicht plausibel an, und es macht mich wütend, dass die gesamte Weltbevölkerung nicht über den genauen Ursprung des Virus aufgeklärt wird, aber sehr wohl mit den fast schon apokalyptischen Folgen fertig werden soll. So, genug zu diesem Thema.

Wie wird man sich an diese herausfordernden Wochen im Frühjahr 2020 zurückerinnern? Wird man sich überhaupt zurückerinnern und lieber ganz schnell die durchlebten Ängste und Sorgen verdrängen? Ich glaube nicht an die Theorie, dass uns die durch den Lockdown auferzwungene Ruhe nun zu kontemplativeren Menschen macht. Eher teile ich die Meinung des Soziologen Armin Nassehi, der in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung sagt: „Ich wundere mich, mit welcher Sicherheit manche eine Epochenwechsel ausrufen. Die Routinen werden sehr schnell wiederkommen.“

Durch und durch außergewöhnlich

Wie schade, möchte ich dazu am liebsten sagen. Ich kenne mich, schon sehr bald wird mich die berufliche Routine und die damit verbundene tägliche Pendelei mit dem Auto wieder im Griff haben. Werde ich versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen: meine Wohnung, meinen Haushalt, meine Hobbies, meine Freunde, meine Familie – mein ganzes soziales und kulturelles Leben. Es wird wieder anstrengend, aber ich werde lächeln und behaupten, auf nichts von alledem verzichten zu wollen.

Acht Wochen lang habe ich neben meiner Arbeit endlich die Zeit gefunden, meine Wohnung zu streichen, mein Büro und den Keller aufzuräumen, den Balkon auf den Sommer vorzubereiten, wieder mit dem Bloggen und dem Laufen zu beginnen. Zu kochen, mit Freunde und der Familie zu telefonieren. Ausreichend zu schlafen, zu lesen, Dokumentationen zu schauen, den Corona-Podcast von Christian Drosten regelmäßig zu verfolgen. Ich hätte die Zeit rundum genießen können, hätten wir uns nicht alle in einer immer greifbaren und nie ausblendbaren Ausnahmesituation befunden.

Andra tutto bene. Speriamo.

Wie wird sich das Leben – mit dem Virus wohlgemerkt – nun entwickeln? Ich bin sehr gespannt. Noch immer wissen mein Freund und ich nicht, wann wir uns wiedersehen können. Unsere morgendlichen Gespräche und seinen klaren, unerschütterlich wohlwollenden Blick auf die Welt werde ich übrigens sehr vermissen. Was noch? Die Pressebriefings mit Prof. Lothar H. Wieler, in denen er ruhig und sachlich die Zahl der Infizierten, der vermutlich Genesenen und die Anzahl der Todesfälle bekannt gibt. Vermissen ist in diesem Zusammenhang nicht das richtige Wort. Aber kein Medienevent der vergangenen Wochen hat mich so beruhigt, wie dieser etwas spröde Lagebericht. Ich glaube, ich werde auch ein wenig die Besonnenheit und Ruhe der Deutschen vermissen, die sich recht schnell mit den verordneten Maßnahmen arrangiert und so viel Soildarität in der Krise bewiesen haben. Manchmal mag ich unser Land und seine Menschen. Ich hoffe, ich werde das auch in den kommenden Wochen immer mal wieder sagen können.

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