Leben

Dust In The Wind

22. Mai 2020

Jeder einigermaßen psychologisch geschulte Mensch hätte mir wahrscheinlich sagen können, dass mein Urlaub im Mai des Jahres 2020 vermutlich weniger heiter ausfallen wird als der zur gleichen Zeit im Jahr 2019. Das emotionale Auf und Ab der letzten Wochen, die fehlenden sozialen Kontakte, das alles hat mir zugesetzt. Ich freue mich trotz der Umstände auf meinen einwöchigen Urlaub, plane DIY-Projekte und starte diese Zeit in dem Glauben, mich entspannt und gelassen durch die Tage zu bewegen.

19. Mai 2019. Als ich am Morgen auf der Landstraße zwischen Lisdoonvarna und Kilmoon im County Clare für einen Morgenlauf unterwegs bin mit Kansas‘ „Dust In The Wind“ auf den Ohren, da spüre ich plötzlich eine unglaubliche Sicherheit, ein Gefühl von innerer Zufriedenheit und die Gewissheit, richtig zu sein, mich genau am richtigen Ort aufzuhalten und meine Umgebung mit allen Sinnen in mir aufsaugen zu können. Es ist gleichzeitig ein Gefühl der Freiheit fernab aller Ängste und Sorgen. „Same old song, just a drop of water in an endless sea“ – aus irgendeinem Grund weiß ich an diesem Morgen, dass die besungene Bedeutungslosigkeit für die nächsten kommenden neun Tage in meinem Leben nicht zutreffen wird.

Ich befinde mich mit Wikinger-Reisen auf einer Wandertour in Irland. Die zwölf Personen, die da gemeinsam unterwegs sind und sich erst am Vortag kennen gelernt haben, werden in der kommenden Woche auf wundersame Weise eine harmonische und eingespielte Gemeinschaft bilden. Unvergessliche Wanderungen in Irlands Burren und Killarney National Park warten auf uns, atemberaubende Aus- und Einblicke, wunderschöne Erlebnisse und nette Gespräche. Ich werde meinen Freund kennenlernen. Ich werde mich in jedem Moment hunderprozentig sicher, aufgehoben und geborgen fühlen. Wir werden einfach eine unglaublich gute Zeit miteinander verleben.

Ein Jahr später starte ich in der gleichen Maiwoche kurz nach der Corona-Hochzeit (so möchte ich diese Periode einmal vorsichtig umschreiben), erneut einen Urlaub. Zu Hause, ohne konkrete Pläne, nur mit dem Ziel, mich zu erholen und ein paar kleine Projekte in meiner Wohnung abzuschließen. Dass mich die Erinnerung an Irland so dermaßen einholen wird, damit hatte ich nicht gerechnet. Schmerzlich vermisse ich meinen Freund, den ich aufgrund verschiedener Lockdowns schon drei Monate nicht  gesehen habe. Ich bin traurig, merke, wie sehr mir plötzlich die Möglichkeit des Reisens fehlt. Ein paar Tage lang holt mich diese Mischung des Vermissens, der Trauer, der Hilflosigkeit und der Erinnerung immer wieder ein. Es sind ja gute Erinnerungen, die mir aber dennoch plötzlich wie der sprichwörtliche Tropfen im endlosen Meer erscheinen und mir die Tränen in die Augen treiben.

Gestern endlich hat sich dieser Trauer-Nebel gelichtet. Wieder beim Laufen übrigens, „Nothing lasts forever but the earth and sky“ – das Lied von der Vergänglichkeit hat ja zum Glück mehr als eine Strophe. Plötzlich erscheint die Welt um mich herum wieder in einem neuen Licht. „Wie schön das hier alles ist“,  denke ich plötzlich und bekomme Lust, meine „Selbstisolation“ zu beenden und wieder voranzugehen. Genug getrauert. Die Erinnerung an die einsame Landstraße zwischen Lisdoonvarna und Kilmoon werde ich für immer  in meinem Herzen mittragen. „Dust In The Wind“ aber wird vorübergehend durch die irische Rugby Hymne ersetzt.

Come the day
And come the hour
Come the power and the glory
We have come to answer
Our country’s call…
Ireland, Ireland
Together standing tall
Shoulder to shoulder
We’ll answer Ireland’s call.

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