Leben

Würste statt Nüsse

9. Oktober 2017

Bildquelle: Pixabay

Mal angenommen, ich hätte am gestrigen Sonntagnachmittag den Blogbeitrag von Till Raether über dessen ehemalige BRIGITTE-Chefredakteurin Anne Volk gelesen und bei der Vorstellung, wie ihr in Vorfreude auf die perfekten „Weihnachtsfeier-After-Nüsse“ die Plastikwürste um die Ohren fliegen, herzhaft gelacht, dann spricht das nicht unbedingt für meinen Charakter. Schadenfreude ist kein schöner Wesenszug. Mal angenommen, die Geschichte fasziniert mich wegen der darin enthaltenen Metapher. Die Nüsse als Bild für einen Genuss, die Plastikwürste für eine enttäuschte Erwartung.

Gestern Nachmittag habe ich einen (noch nicht veröffentlichten) Blogpost darüber geschrieben, warum ich mich selbst auf meinen eigenen Blog meistens als höchst unlustig empfinde. Vielleicht ist es eine typisch deutsche Haltung, Situationen dadurch meistern zu wollen, indem ihnen mit der nötigen Ernsthaftigkeit begegnet. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob die Strategie der Humorlosigkeit in meinem Fall noch einmal „Nüsse“ tragen wird.

Das soll wohl ein Scherz sein?

Jedenfalls nicht im beruflichen Alltag. Da herrscht in meinem Obstkörbchen eine bemerkenswerte Leere.

Montagmorgen, Wochenstart – heute fallen aber bestimmt ein paar Nüsse für mich ab. Schon vor einiger Zeit habe ich ein umfangreicheres Projekt für einen Kunden auf den Weg gebracht, bei dem ich immer noch auf ein Feedback warte. Vergangenen Samstag habe ich gearbeitet, damit ein anderer Kunde sein dringend benötigtes Promotionmaterial für eine bald anstehende Messe erhält. Außerdem warte ich noch auf Rückmeldungen zu Bewerbungen auf Projekte, wo ich als freie Mitarbeiterin und Texterin (meiner Meinung nach) perfekt passen würde. In Erwartung einer reichen Nüsschenernte öffne ich also gegen neun Uhr mein Email-Postfach. Und was passiert? Genau, mir knallen die Plastikwürste nur so um die Ohren. Von den erwarteten Antworten ist nicht eine eingetroffen, meine Samstagsarbeit war für die Katz, weil ich den Auftrag nicht richtig verstanden habe. Ich könnte nun wie die beleidigte Leberwurst das beliebte Mantra „Es klappt aber auch gar nichts mehr“ weiter aufsagen oder mich einfach einmal neben mich stellen, die Plastikwürste einsammeln und schallend lachen. Haha, einfach zu komisch.

Wieder beschreibbar

Gestern Abend bei mir zu Hause. Ein gemütlicher Abend auf dem Sofa lädt zum Einschlafen ein, gegen 21:30 Uhr wache ich wieder auf getrieben von dem plötzlichen Drang, mal eben  einen Reißverschluss in mein aktuelles Nähprojekt (eine Jeanshose) einzunähen. Wer selber näht, weiß, dass man nie, niemals mal eben schnell etwas einnähen sollte. Auch ich weiß das, aber im Moment fühle ich mich wie Superwoman. Was für ein Erfolg, wenn ich in der kommenden Woche im Nähkurs die fast fertige Hose präsentieren kann. Der Reißverschluss lässt sich sogar ungewöhnlich geschmeidig einfügen. Ich platze schon vor Stolz, bis ich die Hose anprobiere. Moment mal, seit wann ist der Verschluss einer Hose hinten? Sollte es etwa so sein, dass ich das vordere und das rückwärtige Teil vertauscht habe? Während ich mit meiner verunglückten Hose vor dem Spiegel stehe und damit problemlos zum „Kris-Kross-Lookalike-Contest“ antreten könnte, muss ich herzhaft lachen. Wie ungeschickt kann der Mensch sein? Hätte ich die Empfehlung meiner Nählehrerin befolgt und die zu verbindenden Teile innen unsichtbar gekennzeichnet, wären mir die Plastikwürste des Sonntagsabends erspart geblieben.

Nun bin ich mir nicht sicher, ob sich mit einem Reframing oder einer Umdeutung Plastikwürste in Nüsse verwandeln lassen, was mir die liebste Variante wäre. Vielleicht reicht es aber schon, über die eigenen Erwartungen zu lachen, statt verkrampft an ihnen festzuhalten. Dann wird es einem überladenen Renaissancegemälde vielleicht wieder ein Whiteboard, das sich neu beschreiben lässt. Genauso mache ich es jetzt. Die Arbeit ruft, die nächsten Plastikwürste warten.

 

 

 

 

 

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