Sonntagmorgen im Konzerthaus Dortmund. Hier steht gleich das 2. Familienkonzert dieses Jahres an. In nur einer Woche haben etwa 200 Schüler zehn Choräle und umgearbeitete Arien von J.S. Bach einstudiert, die sie gleich gemeinsam mit einem Barockorchester vortragen werden. Die Atmosphäre ist ungezwungen und fröhlich. Mütter in Latzhosen oder Business-Kleidern, Väter in Sneakern oder Budapester-Schuhen – hier geht es weniger um Etikette als um ein lockeres Get-together. Kleine Mädchen in Spitzenkleidern und akkurat geflochtenen Mozartzöpfen hüfen zappelig hin- und her, Jungs spielen Quartett und geben sich betont unbeteiligt. Säuglinge auf den Armen ihrer Müttern oder Großmüttern, die bei den ersten Klängen der Musik gleich selig entschlummern werden.
Es geht los. Zunächst werden die Kinder für die Choraufstellung in Gruppen auf die Bühne geführt. Neugierige Blicke in den Konzertsaal und vice versa auf die Bühne. Wo sind Mama und Papa? Wo sind die eigenen Kinder? Arme werden gereckt, es wird gewunken, was das Zeug hält, und ich merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen. „Da ist er – huhu Marlon. Siehst Du ihn? Er steht in der zweiten Reihe links außen.“ Wie würde ich mich fühlen, würde ich meinen Sohn oder meine Tochter mit geröteten Wangen auf der riesigen Bühne des Konzerthauses entdecken? Ich weiß es nicht, ich habe nur eine vage Ahnung, denn ich habe keine Kinder. Aber der Schmerz, der sich gerade in mir breitmacht, lässt mich erahnen, dass es sich um elterlichen Stolz handeln könnte.
Unfreiwillig kinderlos – diesen Zustand finde ich oft nicht besonders bemitleidenswert. Erst mit etwa 37 Jahren bin ich auf die Idee gekommen, mich fortzupflanzen. Es hat leider nicht mehr funktioniert. Manchmal bin ich darüber sogar erleichtert. Wie sollte ich meinen Kindern den heutigen Zustand der Welt erklären? Ich verstehe ihn ja selbst kaum. Dann aber gibt es diese Schlüsselreize, die mir schmerzlich vor Augen führen, was ich verpasst habe. Ein Kind aufwachsen zu sehen, ihm oder ihr etwas mitzugeben für das eigene Leben, und sei es nur die Liebe zur Musik, diese Möglichkeit habe ich nie gehabt.
Wenn ich also heute ein Familienkonzert besuche, hat das zwei Gründe. Zum einen, weil ich den unschuldigen Klang von Kinderchören einfach unwiderstehlich finde. Zum anderen kann ich mir für kurzen Moment einreden, dass das Winken von Marlon oder Martha mir gilt. Die Dirigentin betritt die Bühne. Ich wische mir die Tränen verstohlen von der Backe und lausche.
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